Boris Becker artist photographer


Gespräch mit Boris Becker in Rom, Barbara Hofmann-Johnson, Villa Massimo März 1997

 

In seinen photographischen Arbeiten der vergangenen Jahre hat sich Boris Becker Themenbereichen zugewandt, die sich mit den Polaritäten städtisch geprägten Lebensraums und agrarkulturellen, natürlichen Landschaftsformen beschäftigen.
Grundsätzlich einer dokumentarischen Auffassung von Photographie verpflichtet - versteht man dokumentarisch hier zunächst einmal im Sinne einer ästhetisch nicht manipulierenden Bildfindung - lassen sich hinter Beckers Aufnahmen von Siedlungs- und Wohnhausblöcken, oder seinen Darstellungen von Konstruktionsbauten unterschiedlichster Zweckbestimmung, zwar gesellschaftliche Zusammenhänge erkennen, verweisen die Arbeiten des ehemaligen Becher Schülers darüber hinaus aber auf eine künstlerische Vorgehensweise, die in formalästhetischen Überlegungen ihren Ansatz sucht. Skulpturale, strukturelle und farblich abstrahierende Eigenwerte dominieren die Bildthemen Beckers, deren Präsentationsform als meist großformatige Tableau-Bilder oder kontextuell aufeinander bezogene kleinere Einzelbilder, ebenfalls durch ästhetische Überlegungen motiviert erscheint.
Die in den 80er Jahren entstandene Werkgruppe der "Hochbunker" läßt dies als Reihe ebenso erkennen, wie auch die "Häuser" und "Konstruktionen" Beispiele dafür sind, wie der in Köln lebende Künstler Fragestellungen ästhetischer Abstraktion eher in monumentalen Einzelbildern, als in Form einer seriellen, rein dokumentarischen Enzyklopädie nachgeht.
Auch die kompositionell auf eine Auseinandersetzung mit dem Thema der Landschaftsdarstellung verweisende Werkgruppe der "Reihenhäuser" sei in diesem Zusammenhang formalästhetischer Überlegungen genannt.
Lediglich die Numerierung der Arbeiten als fortlaufende Zahlenreihung und die allgemeine Gattungsbetitelung als eben "Hochbunker", "Häuser", "Konstruktionen" oder "Felder", erinnern an eine Inventarisierung der Arbeiten im Sinne eines anonymen, enzyklopädischen Bestandskataloges.
Die Auseinandersetzung um Aspekte von Natur und urbanisierter Kulturlandschaft, wie es die schon erwähnten "Reihenhäuser" als Horizontlinie eines Wiesenvordergrundes, der eigentlich das Bild dominiert, erkennen lassen, wurde bei der Werkgruppe "Felder", zu einem eigenständigen, auf die Agrarkultur bezogenen Thema weitergeführt. Hier noch mehr konzentrierte sich Becker auf formalästhetische Gesichtspunkte einer photographisch dokumentierenden Wahrnehmung, die im Vergleich zu den Architektur-Themen, in subtilerer Weise die Spuren menschlicher Aneignung erkennen lassen.
Barbara Hofmann-Johnson:
Welche Erwartungen hattest Du vor dem Hintergrund dieses bisher entstandenen Werkes für die Zeit des Stipendiums in der Villa Massimo in Rom - oder galt für Dich angesichts der geschichtlichen Dichte der Stadt das Gleiche, wie schon für den exemplarisch zu nennenden Italienreisenden deutscher Literaturgeschichte per se, Goethe, der schrieb, daß man sich nur in Rom auf Rom vorbereiten könne ?
Boris Becker:
Außer, daß ich die Stadt kennenlernen und die Sprache etwas studieren wollte, bin ich eigentlich ohne konkrete Pläne letztes Jahr nach Rom gekommen. Ich hatte auch keine exakt umrissenen Vorstellungen von meinen Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Villa Massimo, so daß ich mich, wie Du auch erwähnst, erst in Rom auf Rom vorbereiten wollte.
Barbara Hofmann-Johnson:
Inwieweit bist Du Deinen bisherigen Themenbereichen verhaftet geblieben, und inwieweit sind Aspekte hinzugekommen ?
Boris Becker :
Ich habe sehr schnell festgestellt, daß die Stadt selbst, von einigen Ausnahmen abgesehen, kein direktes Thema für meine Arbeit darstellen konnte. Ich hatte mich schon in Deutschland seit geraumer Zeit nicht mehr mit dem urban geprägten Lebensraum beschäftigt.
Also habe ich versucht im Bereich der "Felder" Reihe in der unmittelbaren Umgebung Rom's weiterzuarbeiten. Neben den landschaftlichen Unterschieden Mittel- und Südeuropas, kam als weiterer Faktor das völlig andere Licht Italiens hinzu, das gerade im Sommer tagsüber sehr hart sein kann und somit schwierig einzusetzen ist.
Barbara Hofmann-Johnson:
Welche Arbeiten sind entstanden ?
Boris Becker :
Neben den Arbeiten, die ich aus dem"Felder" Zyklus heraus entwickelt habe, sind auch eine Reihe Arbeiten entstanden, die sozusagen "en passant" aufgenommen wurden und die keiner bestimmten Werkgruppe zuzuordnen sind.
Barbara Hofmann-Johnson:
Die Tradition der "Deutschen Akademie - Villa Massimo", die von dem deutschen Kaufmann Eduard Arnhold zur Künstlerförderung Anfang dieses Jahrhunderts gegründet wurde, ist eng verbunden mit der Italien- oder Reisesehnsucht der Romantiker und Spätromantiker und dem Ideal des Bildungsreisenden, wie er ebenfalls im 19.Jahrhundert seine Typisierung fand.Gab es Einflüsse für Dich in dieser Hinsicht für die Beschäftigung mit dem Thema "Felder" als Beschäftigung mit der Umgebung von Rom ? Du sprachst einmal von Deinem Bewußtsein um die bestehende Literatur und Deine zeitgenössische Variante einer Bildsprache mit der "Bildungsbürgerkamera".
Boris Becker:
Ich hatte vor meinem Aufenthalt in der Villa Massimo eine eher diffuse Vorstellung von der römischen Campagna, wie sie uns die Literatur und Malerei des 19. Jahrhundert übermittelt hat. Diese Campagna, abgesehen davon, daß sie größtenteils sowieso als Idealtypus dargestellt wurde, existiert nicht mehr; sie ist nach dem II.Weltkrieg weitgehend durch Zersiedelung und Straßenbau zerstört worden.
Mir wurde daher im Verlauf meiner Arbeit sehr schnell klar, daß ich nicht ohne genaueres Wissen in der Gegend herumfahren konnte, um zu arbeiten, wie es in der vergleichsweise archäologisch und kunstgeschichtlich weniger "belasteten" Landschaft möglich ist. Parallel zu meiner Arbeit begann ich mich tiefer in die Thematik der Umgebung Rom's hineinzulesen und habe mir Fahrtziele gesetzt, die für mich in erster Linie von kunsthistorischem Interesse waren.
Dieser Aspekt eines "Bildungsbürgertums", das heißt die Existenz eines tiefen Interesses und eines bestimmten Wissens um die Dinge, nehme ich gerne für mich in Anspruch. Allerdings bewerte ich den Begriff des "Bildungsbürgertums" und damit verbunden der "Bildungsbürgerkamera" durchaus ambivalent. Meines Erachtens hat es etwas regelrecht kolonialisierendes, sich bestimmte "Sehenswürdigkeiten" mittels der Photographie aneignen zu wollen, sie mit nach Hause zu nehmen. Ich habe immer versucht zu vermeiden, Motive oder Objekte für eine Arbeit in Betracht zu ziehen, die von sich aus eine kunsthistorische oder archäologische Bedeutung in sich tragen. So haben auch mein neu gewonnenes wissen und die persönlichen Erfahrungen, die ich in Rom gemacht habe, sicher in meinem Unterbewußtsein etwas verändert, aber nicht meine Bildsprache vor Ort nachhaltig domestiziert.
Barbara Hofmann-Johnson:
Die Werkgruppe der im Katalog abgebildeten Arbeiten ist mit "8 x 10" überschrieben. Was bedeutet dies ?
Boris Becker 8 x 10 inch ist die englische Maßeinheit für das Negativaufnahmeformat, mit dem ich auch schon in Deutschland angefangen habe zu arbeiten. Es entspricht ungefähr dem Maß 20 x 25 cm. Die Arbeit mit diesem Aufnahmeformat ergibt nicht nur eine gesteigerte Schärfe und ein höheres Auflösungsvermögen. Für mich bedeutete es in erster Linie den Einsteig in das sogenannte "Kontaktabzugsformat". Bei dieser Technik wird der Bildausschnitt des Motivs, den ich zum Zeitpunkt der Aufnahme auf der Mattscheibe der Kamera festlege, ohne Ausschnittveränderung eben über Kontakt Negativ-Fotopapier "abgezogen". Die Werkabbildungen in diesem Katalog sind dementsprechend in diesem Format 1 x 1 gedruckt. Auch bei einer späteren Großvergrößerung wird keine Ausschnittsveränderung mehr vorgenommen. Im Grunde ist dies eine Technik, die auf die Ursprünge der Photographie im 19.Jahrhundert verweist, als es noch keine Vergrößerungen gab. Für mich war es sehr interessant mit diesem Schein einer "Photographie" pur zu arbeiten.
Barbara Hofmann-Johnson:
In ihrem Untertitel bezeichnest Du die Arbeiten mit "Bilder". Dies läßt an die Beziehungen zu "Tableau-Bild" denken und entspringt damit eigentlich einer Bezeichnung aus dem Bereich der Malerei. Was bedeutet der Begriff für Dich vor dem Hintergrund eines Bewußtseins um das idealisierte Landschaftsbild als Topos der Kunstgeschichte - wie siehst Du in diesem Zusammenhang Deine Beziehungen zu Aspekten der medientheoretisch viel diskutierten Auseinandersetzung um die Photographie als ein die Wirklichkeit wie auch immer repräsentierendes Medium ?
Boris Becker :
Mir ging es in meinen Arbeiten nicht um eine wirklichkeitsgetreue Abbildung von Natur und Landschaft. Ich bin auch nicht der Überzeugung, daß die Photographie zu einer objektiven Darstellung von dem, was wir Realität oder Wirklichkeit nennen, in der Lage ist. Ich finde es nur sehr reizvoll, so zu tun, als ob es so wäre und mittels der ureigenen Gesetze der Photographie ihre Unfähigkeit zur objektiven Darstellung zu offenbaren. Bei meiner Vorgehensweise würde jeder allerdings das Gegenteil vermuten; die Arbeit mit der Großformatkamera im Format 8 x 10 inch, die eins zu eins Wiedergabe über Kontaktabzug im Katalog und das Vergrößern der Arbeiten auf ca. 160 cm x 220 cm. Dennoch ist dem Ganzen an objektiver Information über das "Abgebildete" nichts Wesentliches zu entnehmen. Daraus ergibt sich für mich fast zwangsläufig der Begriff "Bilder", da ich mehr mit den Problemen einer Bildfindung über Ideen an Farben, Flächen und Strukturen zu schaffen habe, als mit der Dokumentation einer scheinbaren Realität.
Barbara Hofmann-Johnson:
Was bedeutet für Dich ein Thema wie Natur - das ja bei aller Abstraktion und formalästhetischer Überlegung in den Photoarbeiten Grundlage ist - heute ?
Boris Becker:
Zunächst betrachtet hätte ich für meine Arbeit sicher auch Asphaltflächen benutzen können. Ich habe allerdings bereits früher versucht, diese Thematik der Farbflächen und Strukturen im Bereich der Architektur zu behandeln. Der Schritt in die Natur entfernt sich indes gar nicht so weit, da es sich fast ausschließlich um kulturell ge- oder benutzte Natur handelt. So gesehen und sicher auch angesichts der heutigen ökologischen Probleme, existiert Natur für mich nicht singulär, sondern immer im Kontext zu einem wie auch immer kulturell geprägten Lebensraum.
Barbara Hofmann-Johnson:
Inwieweit siehst Du Dich in der Tradition der Becher-Schule als einer am dokumentarisch Konzeptuellen orientierten Auffassung von Photokunst und inwieweit siehst Du Dich hier losgelöst ?
Boris Becker :
Wenn man so will, ist mein theoretischer Arbeitsansatz ein konzeptueller, allerdings ein grundlegend anderer, als man ihn gemeinhin dem, was man so ''Becher-Klasse' nennt, zuschreiben würde. Selbst bei meinen früheren Arbeiten, die denen der Bechers formalästhetisch am nächsten stehen, der "Hochbunker" - Serie, habe ich eine Architektur untersucht, die ihre Funktion verhüllt, die eine Scheinarchitektur kreiert, die ihre Voraussetzungen negiert, während bei den Architekturen der Bechers die jeweilige Funktion die Erscheinungsform prägt und bestimmt.
Meine alltägliche Vorgehensweise, meine jeweilige Entscheidung etwas aufzunehmen ist eine, wenn ich das so sagen darf, eher intuitive, die sich insofern auch immer eher am Einzelbild als an einer Serie, einer Typologie orientiert.
Barbara HofmanJohnson :
Welche Pläne hast Du für die Zeit nach Deinem Rom Aufenthalt, der ja - jedenfalls sofern es das Stipendium in der Villa Massimo betrifft - im Sommer zu Ende geht ?
Boris Becker :
Auch hier gilt für Köln als "die nördlichste Stadt Italiens" wie für Rom, daß man sich nur in Köln auf Köln vorbereiten kann.


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