Kunstforum BAND 142, OKTOBER DEZEMBER 1998, SEITE 424, AUSSTELLUNGEN BONN
Kunstmuseum Bonn, 14.8. - 18.10.1998
Fotografie und Malerei verbindet eine wohl nie endende Haßliebe,
der die Kunstwelt immer neue Zwitterwesen verdankt. Auch Boris Becker
versucht die Symbiose beider Medien und stellt sich dabei gar nicht so
ungeschickt an.
Radikalstes Ergebnis seiner Annäherungsversuche ist sicherlich die
Fotografie "Schnee 1349" aus dem Jahre 1996, ein auf den ersten
Blick leeres weißesBlatt. Das irritiert. Denn wir haben es hier
ja nicht mit moderner Malerei zu tun (deren monochrome Exerzitien uns
seit langem vertraut sind), sondern mit Fotografie. Einem Medium also,
auf dem gemeinhin "etwas drauf" ist. Auch auf
Beckers Foto ist etwas drauf, nämlich Schnee. Dessen wattige, sich
in der Perspektive zu einer kompakten Fläche zusammenschließende
Struktur offenbart sich dem Betrachter allerdings erst beim sprichwörtlichen
"Nähertreten".
Die Aufnahme gehört zu der Bildreihe "Territorien" des
Kölner Fotografen, die das Kunstmuseum Bonn nach dem fragwürdigen
Auftritt von Karl Lagerfeld nun als seriöse und dem Image des Hauses
adäquate Fotoschau präsentiert.
Ein geschickt gewählter Titel, geht es hier doch nicht um Landschaftsfotografie
im traditionellen Sinn: Becker verläßt mit seinen Aufnahmen
deren angestammtes Gebiet und erobert dem Genre neues Terrain. Fotografiert
hat er von Menschenhand kultivierte Landstriche: Ackerflächen, Salatbeete,
Bewässerungskanäle, Wiesenhügel, abgeerntete Felder im
Umkreis von Köln und Rom - aber letzteres ist unwichtig, denn die
geographische Verortung spielt bei diesen Bildern keine Rolle. Ebensowenig
macht Becker Kultur-Bilder im Sinne einer wissenschaftlichen Dokumentation
agrarwirtschaftlicher
Aktivitäten: Beckers Bilder wollen Kunst sein.
Dabei zeigen seine Fotos durchaus genaue Ausschnitte aus der Wirklichkeit.
Da gibt es keine Verunklärung: präzise und exakt ist jeder Strohhalm,
jede Erdkrume zu erkennen. In dieser Perfektion zeigt sich der "Becher-Schüler",
der an der Düsseldorfer Akademie bei Bernd und Hilla Becher das strenge
und reine Handwerk erlernte. Vom dokumentarischen Geist seiner Lehrer
jedoch
hat er sich nicht anstecken lassen und auch nicht deren Praktik der fotografischen
Typologie und Reihung übernommen. Einzelbild statt Serie lautet Beckers
Devise, und mit diesem Anspruch entstanden zwischen 1993 und 1998 auch
die nun in der Ausstellung zusammengeführten Aufnahmen.
Die Bilder funktionieren fast alle nach einem ähnlichen Schema. Durch
Wegschneiden der Horizontlinie wird die traditionell erfahrbare Räumlichkeit
ausgeblendet, und dieser simple Kunstgriff sowie die vollständige
Absenz von Personen, Geräten, Gebäuden oder anderen maßstabgebenden
Elementen
lösen die Aufnahmen aus der alltäglichen und für Fotografien
im allgemeinen charakteristischen Bezugsebene heraus. Der orientierungslose
Betrachter wird mit der widersprüchlichen Tatsache konfrontiert,
daß die Fotos trotz ihrertechnischen Perfektion genaue Auskünfte
verweigern und in einer
detailgetreuen Ungenauigkeit verharren. Die von der demokratischen Aufmerksamkeit
des Kameraauges gleichförmig erfaßten Grashalme, Erdschollen
oder Ackerfurchen offenbaren im fotografischen Bild ganz neue Qualitäten:
hier fügen sie sich, Pinselstrichen gleich, in eine bewußt
auf den rechteckigen Rahmen hin konzipierte Bildordnung.
Bei seinem Versuch, Landschaft im Rechteck des fotografischen Bildes zu
fixieren und zu einem Kunst-Bild zu destillieren, bewegt sich Becker im
nicht ganz ungefährlichen Spannungsfeld zwischen monochromer Langeweile
undklischeehaftem Kitsch. Kritischer ist jedoch weniger die Motivik, als
der mediale Ansatz: Organisiert nach den Gesetzen des Tafelbildes und
realisiert nach den
Spielregeln der Fotografie versuchen seine Bilder eine Annäherung
der beiden traditionell konkurrierenden Medien. Ob sich hieraus jedoch
ein künstlerischer Mehrwert ergibt, ist fraglich.
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